Und wenn Corona Arbeitsproduktivität und die Humanisierung der Arbeit womöglich versöhnen hilft ...?

Corona Arbeitsproduktivität versöhnt die Humanisierung der Arbeit

In Abwandlung eines berühmt-berüchtigten Motivationsspruchs, gemäß dem Leben am Ende der Komfortzone beginnt, könnte man auf jeden Fall sagen, dass vor allem Lernen am Rand der Komfortzone beginnt, weil man dort nahezu zwangsläufig neue Erfahrungen macht. Insofern ist die aktuelle Situation einerseits sicherlich geprägt von Leid, Ungemach und zahlreichen Anlässen zu auch existenzieller Sorge. Und andererseits sind wir gerade auch in einen riesengroßen Lernraum katapultiert. Ein Lernraum, bei dessen Verlassen die Arbeitswelt vieler Menschen - hoffentlich - nicht mehr genau die gleiche sein wird, wie vor einigen Wochen. Viele erhoffen sich beispielsweise einen wirksamen Schub für die Konzepte von New Work, agiler Organisation und Führung oder auch der Überwindung von nicht hilfreich erlebten Wirkungen der weitgehenden Ökonomisierung des Lebens. Und wenn Corona Arbeitsproduktivität und die Humanisierung der Arbeit doch versöhnen hilft?

 

Ein kleines und feines Beispiel ist die plötzlich flächendeckend mögliche Nutzung des Home-Offices oder besser remote Work. Noch vor kurzem scheiterte vielfach die Arbeit zu Hause wahlweise an angeblichen technischen Restriktionen oder dem vorgeblichen Bedürfnis, die Menschen vor Selbstausbeutung zu schützen. Und nun stellt sich heraus, dass die Technik nach erstem Überwinden von Anfangsfremdeln - auch von Arbeitgeberseite - gar kein Problem darstellt und die zwangsbeglückten Heimarbeiter ganz gut auf sich selbst aufpassen können sowie durchaus produktiv dabei sind. Womöglich stehen auch bei diesem Aspekt der hilfreicheren Gestaltung menschlicher Arbeit eher Themen wie Führungsverständnis, Menschenbild, Kontroll-Hybris und fehlendes Vertrauen statt Technikherausforderungen im Weg. Jedenfalls mache gerade viele Menschen viele durchaus überraschende Beobachtungen. 

 

Eine Domäne analogen Präsenz-Arbeitens sind bisher auch Team-Workshops. Beispielsweise für Formen erfahrungsorientierten gemeinsamen Lernens fehlt mir - zumindest bis zu einer deutlich weiter fortgeschrittenen Miniaturisierung von Virtual Reality Technologien - zugegebenermaßen aktuell auch noch die Phantasie für eine adäquate digitale Durchführung. Doch "gezwungen" durch den oben erwähnten Lernraum habe ich Kunden gewinnen können, sich auf das Experiment einzulassen, ursprünglich als Präsenzworkshops geplante Veranstaltungen kurzfristig mit zwangsweise auf ihre Wohnungen verteilten Teilnehmern als Online-Workshops durchzuführen. Dabei konnten unter anderem diese - für viele überraschende - Beobachtungen gemacht werden: 

  • Es wurde oftmals fokussierter gearbeitet, als es bei vielen Präsenz-Workshops erlebt wurde
  • Der Dialog zwischen den Teilnehmern konnte trotz räumlicher Entfernung sogar intensiviert werden
  • Die Teilnehmer haben vielfach geringere Hemmschwellen empfunden, sich mit Beiträgen einzubringen
  • Es ließen sich - unterstützt durch von mir präferierte widerstandsbasierte Verfahren - gemeinsame Entscheidungen transparent und mit deutlich reduziertem Zeitaufwand treffen.

Einige Hypothesen, womit diese Beobachtungen begründbar sein könnten:

  • Die Fokussierung auf die Bildschirminhalte reduziert Ablenkungsmöglichkeiten
  • Die eigene Wohnung ist eine vertraute und in gewisser Weise geschützte Umgebung, die weniger Hemmschwellen aufbaut, als Workshop-Settings, die sich oftmals vom vertrauten Arbeitserleben unterscheiden, dabei meist mehr Offenheit erwarten und sich nicht nur deshalb zunächst ungewohnt anfühlen
  • Nebengespräche mit Teilnehmern sind außerhalb dafür vorgesehener Pausen im Online-Format kaum möglich
  • Ebenso sind Nebentätigkeiten von Teilnehmern unbeobachtet kaum möglich
  • Impulsives Durcheinandersprechen kann durch die Moderatorenrolle per einfachem "Stummschalten" aufmerksamkeitsstark und trotzdem "minimal-invasiv" beendet werden
  • Teilnehmer fühlen sich wirksamer und eingebundener, weil Kommunikation auf Augenhöhe per Webcam quasi körperlich erlebbar wird und auf den gemeinsamen, lösungsorientierten Dialog eher destruktiv wirkende Elemente formaler Macht durch die räumliche Distanzierung zumindest partiell nivelliert werden
  • Neue, digitale Dialog-Formate sprechen Kompetenzen und Fähigkeiten von Mitarbeitenden an, die sich bisher weniger eigeladen gefühlt haben
  • Für zahlreiche Teilnehmer ist die Durchführung von online-Formaten neu und wird oftmals als spielerisches und gleichzeitig modernes Experiment wahrgenommen, das die als verstaubt empfundenen Arbeitsbedingungen erfrischend aufwirbelt. 

Mit Blick auf die Beobachtungen und Hypothesen haben wir einige beispielhafte hilfreiche Maßnahmen identifiziert, die meist auch für "einfache" Online-Meetings gelten (und ein wenig abgewandelt natürlich vielfach für Prä-Corona-Präsenz-Workshops altbekannt sind): 

  • Klare Zuordnung einer Moderationsrolle (das muss nicht zwingend die einladende Person sein, die diese Funktion von Webkonferenz-Tools zunächst zugewiesen bekommt)
  • Zugänglichkeit des online-Meetingraumes vor Beginn und auch ohne Moderator öffnet einen Raum für den sozialen Austausch bzw. Small Talk und erste Orientierung im eventuell noch ungewohnten virtuellen Workshop-Raum. 
  • Vereinbarung bzw. Bekanntgabe von Kommunikations- und Pausenregelungen (beispielsweise daran zu denken, das Handy nach dem Workshop wieder einzuschalten, nacheinander reden oder sich ganz zu Beginn schon mit Flüssigkeit in Griffweite und sturzgeschützt zu versorgen), Spielregelvorschläge können auch vor Beginn des Workshops per Screenshare vom Moderator schon sichtbar gemacht werden. 
  • Einladung zu individuellen Pausen als Mikro-Pausen. Hierzu gehört insbesondere die regelmäßige Umfokussierung der Augen (z.B. in die Ferne schweifen lassen), kleine Bewegungen oder bewusstes Atmen.
  • Wechsel der Austauschformate im Plenum der Gesamtkonferenz und in Kleingruppen durch Nutzung der Möglichkeit von break-out-Sessions (quasi Sub-Video-Konferenzen)
  • Integration spielerischer Elemente (z.B. Reaktions-Buttons, kleine Umfragen innerhalb des Konferenz-Tools oder separat wie per Mentimeter oder andere Tools)
  • Bei Nutzung der Sub-Konferenzen als Moderator in die Räume gehen, um bei Orientierungsfragen inhaltlicher oder technischer Art präsent zu sein
  • Der Belastung der Moderation durch parallelen Mehrfach-Fokus auf Technik, Teilnehmer, inhaltliche Resonanzen und die Dokumentation durch Nutzung von Co-Moderation begegnen
  • Die von Papier-Flipcharts gewohnte Orientierung der Teilnehmer mit Leitfragen, Strukturierungsangeboten etc. kann auch durch vorbereitete Charts (Powerpoint, Keynote etc.) geleistet werden
  • Gemeinsame Arbeit auf den Whiteboards der Konferenztools (Achtung: bei Microsoft-Teams aktuell offenbar nicht organisationsübergreifend möglich) oder parallel eingesetzter Tools (wie Miro und andere)

Sicher haben Sie auf Basis Ihrer eigenen Erlebnisse auch Ihre ganz eigenen Tipps&Tricks für erfolgreiche Online-Workshops. Ich freue mich jedenfalls ebenso auf die Wiederkehr persönlicher Workshop-Erfahrungen im buchstäblich gleichen physikalischen Raum wie weitere neue online-Erfahrungen. Und ich hoffe, dass wir nach dieser Krise eben nicht einfach nur wieder zur bisherigen sogenannten Normalität zurückkehren, sondern die Erfahrungen hilfreicher Art nachwirken lassen. 

 

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